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  • AutorenbildTimo Trachsel

Autobiographie Samuel Hahnemann

Gerne möchten wir Ihnen einen kleinen Einblick in das Leben von Samuel Hahnemann geben und stellen Ihnen diese Autobiographie zur Verfügung:



Hahnemann (Samuel), der Arzneikunst Doktor und Physikus zu Königslutter im Herzogthum Braunschweig. Ich ward (sagt Herr Doktor Hahnemann) den 10ten April 1755 in einer der schönsten Gegenden Deutschlands, zu Meissen in Chursachsen geboren; dies mochte, wie ich allmählig zum Menschen ward, wohl vieles zu meiner Verehrung der schönen Natur beigetragen haben. Mein Vater, Christian Gottfried Hahnemann, lehrte in Verbindung mit meiner Mutter, Johanne Christiane, geborne Spieß, mich spielend lesen und schreiben. Dieser mein nun vor vier Jahren verstorbener Vater hatte, ohne je Wissenschaften getrieben zu haben, (er war Mahler bei der dasigen Porcellanmanufaktur und ist Verfasser einer kleinen Schrift über die Wassermahlerei) die gesundesten, selbst gefundenen, Begriffe von dem, was gut und des Menschen würdig genannt werden kann. Diese Begriffe pflanzte er auf mich fort. Handeln und Seyn ohne zu scheinen, war seine merkwürdigste Lehre, die mehr aus seinem Beispiele, als aus seinen Worten auf mich Eindruk machte. Wo etwas Gutes zu thun war, da war er, oft unbemerkt, mit Leib und Seele. Sollt' ich ihm nicht folgen? In den feinsten Nüancen zwischen edel und niedrig entschied er bei seinen Handlungen mit einer Richtigkeit, die seinem zarten praktischen Gefühle wahre Ehre machte; auch hierin war er mein Lehrer. Keine erhabene Begriffe von dem Urwesen der Schöpfung, der Würde der Menschheit und ihrer herzerhebenden Bestimmung schien er zu haben, die mit seiner Handlungsart nur je im mindesten Widerspruche gestanden hätten. Dies gab mir Richtung von innen.


Von außen zu reden, so habe ich mehrere Jahre in der Meißner Stadtschule zugebracht, um dann in meinem sechszehnten Jahre auf die Fürstenschule daselbst zu gehen und vier Jahre darauf die Universität Leipzig zu beziehen. Auf der Schule war nichts Merkwürdiges an mir, als daß mein Lehrer in alten Sprachen und teutschem Ausdruke, der noch lebende sehr um die Welt und mich verdiente Rektor der Meißner Fürstenschule, Magister Müller, der an gerader Rechtschaffenheit und an Fleiße wohl wenige seines Gleichen hat, mich als sein Kind liebte, und mir Freiheiten in der Art meines Lernens verstattete, die ich ihm heute noch verdanke, und welche sichtbaren Einfluß auf meine folgende Studien hatten. In meinem zwölften Jahre trug er mir auf, Andern die Anfangsgründe der griechischen Sprache beizubringen. Weiterhin hörte er, in den Privatstunden mit seinen Kostgängern und mir, meine Gegenerinnerungen bei Auslegung der alten Schriftsteller liebreich an, zog auch dann oft meine Meinung der seinigen vor. Mir allein (ich war oft übertriebenen Studierens wegen kränklich) mir allein war verstattet, die mir nicht zwekmäßig scheinenden Stunden gar nicht zu besuchen, nachgeschriebene Hefte oder auch andere Ausarbeitungen nicht einzuliefern, auch in den Lektionen fremde Bücher für mich zu lesen. Jede Tageszeit hatte ich offenen Zutritt zu ihm; oft ward ich in mancherlei Rüksicht vielen Andern öffentlich vorgezogen, und dennoch, was das Sonderbarste ist, liebten mich meine Mitschüler alle. Alles dieses im Zusammenhange will auf einer sächsischen Fürstenschule viel sagen. Hier ließ ich mir angelegen seyn, weniger zu lesen, als das Gelesene zu verdauen, wenig, aber recht zu lesen, und in meinem Kopfe vorher in Ordnung zu bringen, ehe ich weiter las.



Mein Vater wollte mich durchaus nicht studieren lassen. Von der Stadtschule nahm er mich mehrmals Jahre lang hinweg, um mich einer andern Beschäftigung zu widmen, die seiner Einnahme angemessener wäre. Dies verhinderten meine Lehrer dadurch, daß sie die lezten acht Jahre durchaus kein Schulgeld für mich annahmen, und ihn nur baten, mich bei ihnen zu lassen, und meiner Neigung zu willfahren. Er konnte nicht widerstehen, aber auch weiter nichts für mich thun.


Ostern 1775 entließ er mich nach Leipzig, mit der Unterstüzung von 20 Thalern, das lezte Geld, was ich seitdem noch aus seiner Hand erhielt. Er hatte bei seinem kärglich zugemessenen Einkommen noch mehrere Kinder zu erziehen. Genug zur Entschuldigung des besten Vaters.


Der Unterricht eines jungen reichen Griechen aus Jassy in der Moldau in der teutschen und französischen Sprache verschafte mir anfänglich, so wie Uebersezen aus dem Englischen, zu der Zeit Unterhalt, als ich bald von Leipzig, nach einem zweijährigen Aufenthalte daselbst, abgehen wollte. Daß ich die Regel meines Vaters, beim Lernen und Hören nie der leidende Theil zu seyn, auch in Leipzig auszuüben suchte, kann ich mir selbst das Zeugniß geben. Doch vergaß ich hier nicht so, wie ehedem, meinem Körper durch Uebungen, Bewegungen und freie Luft diejenige Munterkeit und Stärke zu verschaffen, bei der nur allein fortgesezte Geistesanstrengung mit Glükke bestehen kann.


Indessen besuchte ich in Leipzig nur diejenigen Lehrstunden, die mir die zwekmäsigsten schienen, ungeachtet der Herr Bergrath Pörner in Meissen mir bei allen medizinischen Professoren freie Kollegien auszumachen die Gewogenheit hatte. So las ich auch für mich zwar unermüdet, aber nur immer das beste, was es für mich gab und so viel ich verdauen konnte.


Die Liebe zur praktischen Arzneikunde, wozu in Leipzig keine Anstalt ist, trieb mich an, auf eigene Kosten nach Wien zu gehen. Ein schlimmer Spaß aber, der mir mit meinem in Leipzig ausstehenden Verdienste gespielt wurde, (Reue gebietet Versöhnung und ich verschweige Nahmen und Umstände) war Schuld, daß ich schon nach 3/4 Jahren Wien wieder zu verlassen genöthigt war, nachdem ich in diesen neun Monaten nur 68 Gulden 12 Kreuzer zu meiner Erhaltung gehabt hatte. Dem Spital der barmherzigen Brüder in der Leopoldstadt daselbst, oder vielmehr dem großen praktischen Genie, dem Leibarzt von Quarin verdanke ich, was Arzt an mir genannt werden kann. Seine Liebe, ich möchte sagen, seine Freundschaft hatte ich, und ich war der Einzige meiner Zeit, den er zu seinen Privatkranken mit sich nahm. Er zeichnete mich aus, liebte und lehrte mich, als wenn ich der Einzige und Erste seiner Schüler in Wien und mehr noch gewesen wäre, und alles dieß, ohne je Vergeltung von mir erwarten zu können!


Der Rest der mir übrig gebliebenen Brosamen sollte eben vollends verschwinden, als der Gouverneur von Siebenbürgen, Herr Baron von Brukenthal, mich unter ehrenhaften Bedingungen einlud, mit ihm nach Hermanstadt zu gehen, als Hausarzt und Aufseher seiner ansehnlichen Bibliothek. Hier hatte ich Gelegenheit, noch einige andere mir nöthige Sprachen zu lernen und einige Nebenwissenschaften mir eigen zu machen, die mir noch zu fehlen schienen. Seine unvergleichliche Sammlung antiker Münzen brachte ich, so wie seinen Büchervorrath, in Ordnung und zu Papier, praktisirte sieben Vierteljahre in dieser volkreichen Stadt, und schied dann, obwohl sehr ungern, von diesem biedern Volke, um in Erlangen den Doktorgrad zu nehmen, welches ich nun aus eigenen Kräften thun konnte. Dem Herrn geheimen Hofrath Delius, den Herrn Hofräthen Isenflamm, Schreber und Wendt habe ich viel Güte und Belehrung zu danken. Herr Hofrath Schreber lehrte mich noch, was mir an der Kräuterkunde mangelte. – Am 10. August 1779 vertheidigte ich meine Dissertation und erhielt darauf die Doktorwürde.


Der Hang eines Schweizers nach seinen schroffen Alpen kann nicht unwiderstehlicher seyn, als der eines Chursachsen nach seinem Vaterlande. Ich gieng hieher zurük, um im Mansfeldischen in der kleinen Bergstadt Hettstädt meine Lauflbahn als praktischer Arzt zu beginnen. Hier war es unmöglich, Inneres oder Aeußeres zu erweitern, und ich verließ diese Gegend nach einem Aufenthalte von drei Vierteljahren (Frühling 1781), um Dessau zu wählen.


Hier fand ich einen bessern Umgang und eine erleichterte Kenntnißpflege. Die Chemie beschäftigte meine freien Stunden, und kleine Reisen für die Berg- und Hüttenkunde füllten noch ansehnliche Lükken bei mir aus.


Zu Ausgange des Jahres 1781 erhielt ich einen kleinen Ruf als Physikus nach Gommern bei Magdeburg. Der etwas ansehnliche Gehalt bewog mich, bessere Einnahme und Beschäftigung hinter dieser Stelle zu suchen, als ich in den zwei und Dreivierteljahren fand, die ich daselbst zugebracht habe. Es hatte an diesem kleinen Orte noch nie ein Arzt existirt, man hatte keinen Sinn für ihn. Doch fieng ich da zuerst an, etwas mehr die unschuldigen Freuden des Hauses neben den Süßigkeiten der Geschäfte zu genießen, in Gesellschaft der gleich beim Antritte dieses Amtes geehlichten Gefährtin meines Lebens, Henrietten Küchlerin, Stieftochter des Herrn Apotheker Häselers in Dessau.


Dresden war der nächste Ort meines Aufenthaltes, wo ich keine glänzende Rolle spielte, vermuthlich, weil ich nicht wollte. Indeß fehlte es auch hier für mich weder an Freuden, noch an Belehrung. Der seel. Stadtphysikus Wagner, ein Muster unbestechlicher Rechtschaffenheit, würdigte mich seiner innigen Freundschaft, zeigte mir noch vollends, was zum gerichtlichen Arzte gehörte (denn in dieser Kunst war er Meister), und überließ mir ein Jahr über, seiner Kränklichkeit halber, unter Zustimmung des Magistrats seine sämtlichen Krankenhäuser – ein weites Feld für einen Freund des Wohlthuns! Auch der Oberaufseher der Kurfürstlichen Bibliothek, Herr Hofrath Adelung, gewann mich lieb und trug nebst dem Herrn Bibliothekar Daßdorf viel dazu bei, meinen Aufenthalt belehrend und angenehm zu machen. Vier Jahre verstrichen mir so in Dresden und in Dresdens Gegend geschwinder, als dem unvermutheten Erben großer Reichthümer, im Schoose meiner anwachsenden Familie, und ich kam, um der Quelle der Wissenschaften näher zu seyn, gegen Michaelis 1789 nach Leipzig, wo ich ruhig der Vorsicht zusehe, welche Schiksale sie einem jeglichen meiner Tage zutheilt, deren Zahl in ihrer Hand liegt.


Vier Töchter und ein Sohn machen, nebst meiner Gattin, die Würze meines Lebens.


Im Jahr 1791 erwählte mich die Leipziger ökonomische Gesellschaft und am zweiten August 1791 die Kurfürstlich-Mainzische Akademie der Wissenschaften zu ihrem Mitgliede.


(Leipzig, den 30. August 1791.)*


* Seit 1792 hielt sich Herr D. Hahnemann zu Walschleben bei Gotha auf, nachdem er ein Institut für Wahnsinnige zu Georgenthal bei Gotha angelegt, aber es bald wieder aufgehoben hatte. 1794 gieng er nach Pyrmont.


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